Ich liebe und leide Gemeinde

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Ich liebe und leide Gemeinde

(Hier findest Du einen „Mit Gott am Tisch“-Text. Folgende Szene: ein großer Tisch, zwei Stühle, eine silberne Platte. Das ist das Grund-Setting. Mal ist der Tisch chaotisch, mal leer, mal ist alles liebevoll dekoriert. Die beiden Stühle sind immer für Gott und mich reserviert. Hier bin ich eingeladen, mit Gott über das zu sprechen, was mir grade auf der Seele brennt. Und auf dem silbernen Tablett darf ich jedes Mal einen Gegenstand platzieren, der symbolisch für das steht, worüber ich dringen mit Gott sprechen möchte. Und nun fühl Du Dich herzlich eingeladen, dem Gespräch zwischen Gott und mir zu lauschen!)

Es herrscht ein unübersehbares Chaos auf dem Tisch. Zettel, Geschirr, eine Zeitung, Stifte, ein leerer Joghurtbecher, Krümel. Ich lasse mich auf meinen Stuhl fallen, etwas müde und abgespannt. Das silberne Tablett wartet auf meinen Gegenstand und so krame ich ein Monopoly-Häuschen aus meiner Tasche und lege es dort ab.

„Oh, heute wird es spannend!“ sagt Gott, der schon auf mich gewartet hat und mir nun gegenübersitzt.

„Ich weiß nicht, ob es spannend wird oder eher angespannt…“ erwidere ich.

„Für mich ist beides gut. Also, willst Du mit mir Monopoly spielen, Dein Haus renovieren oder über Deinen Bausparvertrag sprechen?“ Gott grinst.

Ich schmunzle. Er schafft es immer wieder…

„Alle drei Themen hätten Potenzial für Spannung und Anspannung. Aber eigentlich geht es mir um etwas ganz anderes. Ich leide an Deiner Gemeinde.“

Gott schaut mir liebevoll in die Augen. Sein Gesicht spiegelt Ernsthaftigkeit und Mitgefühl.

„Darf ich fragen warum?“

„Wenn ich ehrlich antworten darf…?!“

„Nur zu!“ Gottes Tonfall gibt mir den Raum, den ich brauche, um herauszulassen, was mein Herz grade so schwer macht.

„Ich finde, Gemeinde ist ein unmögliches, unperfektes und wenig hilfreiches Konstrukt. Und damit meine ich in erster Linie die Menschen, die Gemeinde bilden. Wenn ich an Gemeinde an sich denke, dann beginnt eigentlich jedes Mal etwas in mir zu kribbeln: Freude, Abenteuerlust, ein Heimatgefühl. Dort ist so viel Potential. So viel Kraft. Aber wenn ich dann an unsere Gemeinde im Speziellen denke, dann fallen mir Menschen ein, die streiten, Menschen, die träge sind, Menschen, die nur kritisieren, Menschen, die einander verletzen, Menschen die dauernd übervorsichtig sind und bremsen, Menschen, die stolz sind oder Menschen, die so egoistisch sind, dass sie sich nur herauspicken, wann sie dazugehören wollen – nämlich dann, wenn es ihnen etwas ‚bringt‘. Und das macht mich so wütend! Mit so einem Haufen kannst Du doch nicht ernsthaft Dein Reich bauen wollen? Wenn das wirklich die sind, die Du meinst, wenn Du von Salz und Licht in dieser Welt sprichst, dann Gute Nacht. Weißt Du, ich habe wirklich ein großes Commitment zu dieser Deiner Idee von Gemeinde. Ich bin wirklich bereit, mich dort zu investieren. Ich will Teil sein, leiten, lernen, leben. Aber ich habe dauernd das Gefühl, ich fahre nur gegen die Wand. Meine Ressourcen werden hier gefressen, anstatt dass sie irgendetwas bewegen. Darum kann ich es nicht anders sagen: Gott, Ich leide an Deiner Gemeinde.“

Gott hat mir aufmerksam zugehört. Nach einer kurzen Pause sagt er nur drei Worte: „Elli, ich auch.“

Für einen Moment hängen die Worte wie Spinnweben im Raum, hallen nach.

Hä? Was hat Gott da grade gesagt? ‚Ich auch‘? Ich hatte mit Vielem gerechnet. Mit Erklärungen, mit Fragen, vielleicht mit einer Portion ‚den Kopf zurecht rücken‘. Aber nicht mit ‚ich auch‘.

„Was?“ frage ich laut. „Was meinst Du mit ‚ich auch‘?“

„Naja, dass ich auch an meiner Gemeinde leide. So wie Du!“

Ich schaue ihn sprachlos an.

„Das scheint Dich zu überraschen?!“

„Ja, absolut. Ich dachte Du liebst Deine Gemeinde, schmückst sie, feierst sie, kannst nicht genug von ihr bekommen. Da passt ‚leiden‘ irgendwie nicht in die Palette. Und ich hatte erwartet, dass Du jetzt ein paar Bibelstellen zitierst, an meine Haltung, mein Durchhaltevermögen, meine Motivation und meine Geistlichkeit appellierst.“

„Soll ich?“

„Weißt Du, das tue ich eigentlich dauernd selber. Ich ermahne mich, mich zusammen zu reißen, aufzuhören zu meckern, das Gute in den Blick zu nehmen, …“

„Hilfts?“

„Maximal kurzfristig. Diese Gedanken erhöhen bestenfalls den Druck auf mich und mein schlechtes Gewissen, aber Liebe fängt unter Druck kein Feuer und ein schlechtes Gewissen bewirkt auch nicht, dass ich etwas liebe, was ich einfach nicht liebenswert finde.“

„Darf ich Dich etwas fragen?“

„Ja, sicher!“

Gott lässt seinen Blick über den Tisch schweifen und schaut mich dann wieder an.

„Welcher Ort in Deinem Haus ist Dein Lieblingsort?“

Da muss ich nicht lange überlegen. „Auf unserem Teppich direkt vor dem Kamin. Mitten im Wohnzimmer auf dem Boden. Ich liebe diesen Platz. Dort spiele ich mit meinen Kindern, dort lese ich oder starre ins Kaminfeuer, dort haben wir sogar schon gepicknickt. Es ist gar kein besonderer Ort. Aber da bin ich irgendwie ganz besonders gerne.“

Ich schaue in Gottes liebevolles Lächeln. Auch ich lächle beim Gedanken an dieses Ort.

„Darf ich Dich noch etwas fragen?“

„Natürlich!“

„Ich habe Dich neulich beobachtet, wie Du auf besagtem Teppich standest und Dir die Tränen über die Wangen liefen, weil Du so überfordert warst mit dem Chaos zu Hause. Überall hast Du den Dreck gesehen, die ungeputzten Fenster, das herumliegende Spielzeug. Weißt Du noch?“

„Ja.“ Ich habe die Szene von letzter Woche klar vor Augen.

„Und dann fällt mir noch ein Moment ein. Du stapftest kurz nach einem hitzigen Streit mit deinem Mann lautstark und aufgeladen über den Teppich hinweg in den Flur und dann nach draußen. Die Haustür fiel sehr geräuschvoll ins Schloss.“

Auch daran erinnere ich mich so deutlich.

„Bist Du dennoch gern zu Hause? Und können diese Momente viel daran ändern, dass Du Dich Zuhause wohl fühlst und der Teppich vor dem Kamin Dein Lieblingsplatz ist? Ziehst Du aus, wenn es unordentlich wird oder Streit gibt, weil das so anders ist, als Du es Dir vorgestellt hast?“

Ich ahne worauf Gott hinaus möchte. Mir fällt selbst ein Bibelvers ein, aber diesmal kommt er nicht mit einem erhobenen Zeigefinger in meinen Kopf, sondern mit einer tiefen Leidenschaft. ‚Wisst ihr nicht, dass ihr als Gemeinde der Tempel Gottes seid und dass der Geist Gottes in euch wohnt?‘ (1. Korinther 3:16)

„Natürlich sind diese Momente irritierend, verletzend, schmerzhaft. Aber sie sind auszuhalten, weil ich mein Zuhause grundsätzlich liebe und weil mein Leben hier ja irgendwie auch eine Entscheidung ist und nicht nur ein Gefühl…“ Und in diesem Moment weiß ich, dass ich mir grade selbst die Antwort auf viele meiner Fragen gegeben habe. Aber Gott scheint noch nicht fertig zu sein.

„Kommen wir noch mal zurück zu meiner Gemeinde. Ich vermute, Du hast den Zusammenhang zwischen Deinem Lieblingsplatz zu Hause und unserem Thema längst hergestellt. Aber es fehlt noch etwas, was den Knoten platzen lassen könnte. Dein Kopf hat vielleicht eine wichtige Erkenntnis gewonnen, aber ich wünsche mir, dass Dein Herz auch noch hinterher kommt. Wenn es also wirklich stimmt, dass Gemeinde der Ort ist, wo ich wohne, was würde Dir denn helfen, diesen Ort wieder zu lieben?“

Meine Antwort kommt mitten aus meinem Herzen: „Wenn ich SEHE, dass Du hier wohnst. Wenn ich DEINE Spuren bemerke. Wenn ich DEINEN Einrichtungsstil wahrnehme. Wenn ich DIR hier begegne. Und wenn ich sehe, dass auch andere Dir hier begegnen. Dass es trotz aller Fehlerhaftigkeit von Menschen ein besonderer, heiliger Ort ist!“

Plötzlich lässt mich meine eigene Antwort wieder ganz viel verstehen: mein Fokus hat sich ungesund verschoben. Ich habe meinen Blick viel zu sehr auf Menschen gelenkt. Ob die Musik schön war. Wie die Gemeindemitglieder miteinander umgegangen ist. Wie sich die Mitarbeit in den Gruppen entwickelt. Wie mir die Gottesdienste gefallen. Ob mir die Predigten „was bringen“. Das sind alles Sachen, die wichtig sind und Beachtung verdienen. Aber sie haben nicht die Berechtigung, das ganze Blickfeld einzunehmen, denn dann verliere ich das Eigentliche an Gemeinde aus dem Fokus: hier ist GOTTES Wohnung. SEIN Zuhause. SEINE Wirkungsstätte. Hier lädt ER uns ein. Hier prägt ER die Gestaltung. Die Einrichtung. Den Charakter. Diesen Ort hat ER sich ausgesucht, um dort zu wohnen. Das heißt: ER ist hier und wir können IHM hier begegnen. Ganz unabhängig von den Umständen. Von unseren Schwächen. Unseren Fehlern. Unserer Demotivation. Unserer Müdigkeit.

An seinen Augen sehe ich, dass Gott weiß, welche Gedanken gerade keinen Kopf und mein Herz erfüllen. Mit weicher Stimme fügt er hinzu:

„Gemeinde ist eine Gemeinschaft von Sündern. Das war mir von Anfang an klar. Hier ist es nicht perfekt und wird es auf dieser Erde auch nie sein. Dennoch habe ich – im vollen Wissen um diese Tatsache – entschieden, dass ich hier wohnen will. Ohne Einschränkung. Und auch, wenn es Krisen gibt, ziehe ich nicht aus. Ja, ich wohne auch in Dir (und by the way: Du bist ja auch nicht ganz perfekt *zwinker*) – aber wie viel größer und schöner und geräumiger ist meine Wohnung, wenn meine Kinder zusammenziehen und gemeinsam ein Haus für mich sind. Ja, ein Haus mit Macken und Kanten und Fehlern und Baustellen – aber auserwählt, geheiligt, gekrönt!

Ich möchte Dir gerne eine Aufgabe geben: wenn Du das nächste Mal in Deine Gemeinde gehst, dann erzähle doch einfach mal einer Person dort, was Gemeinde Dir bedeutet. Wo bist Du hier – durch Menschen, Lieder, Predigten, Begegnungen oder Erlebnisse – mir, Deinem Gott, begegnet? Woran merkst Du, dass dies der Ort ist, an dem ich wohne und wo mein Geist weht?

Denn ich glaube, wenn Du bei Dir anfängst und selber mehr über das sprichst, was Dich an Gemeinde begeistert, wo sie Dir gut tut und wie sehr Du sie schätzt, dann wird das andere anstecken. Und dann wird in Deinem Herzen und in Deiner Gemeinde etwas passieren. Der Fokus wird sich wieder ändern und ich kann dahin rücken, wo ich hingehöre: ins Zentrum!“

Bei diesen Worten fällt mein Blick auf den Tisch. War es hier eben nicht noch total unordentlich? Papier, Geschirr, Krümel? Ein bisschen was davon ist immer noch da. Aber die Blumen, die Tischdecke und der Kuchen scheinen plötzlich so viel präsenter als eben. Ich hatte sie völlig übersehen, aber nun stecken sie mir richtig ins Auge. Und da ist noch etwas: auf dem Monopolyhäuschen schimmert plötzlich ein feines, von Hand gemaltes Kreuz. Ich entspanne mich. Viel fällt von mir ab. Und ich greife zu der Tasse Kaffee, die Gott mir soeben eingeschenkt hat.

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Elena Schulte

Elena Schulte

lebt mit ihrer Familie im südlichen Rheinland. Sie ist beim Missions- und Bildungswerk "Neues Leben e.V." angestellt und arbeitet als Speakerin und freie Autorin. Ihr Herz brennt dafür, Frauen herauszufordern, mitten in ihrem Leben Jesus zu begegnen und mutig ihren Platz in seiner Geschichte mit dieser Welt einzunehmen. Dafür nutzt sie ihre Liebe zur Kreativität, zur Schönheit und zum Umgang mit Worten.

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