Das Elternwerden oder -sein stellt das bisherige Leben ganz schön auf den Kopf. Man beschäftigt sich nun mit Schnullergrößen und Laufradherstellern. Es zählt zu den größten persönlichen Erfolgen, wenn der Stinker des Nachwuchses endlich auch seinen Weg ins Töpfchen gefunden hat. Im Freundeskreis tauscht man sich über den letzten Kinder-Secondhand-Markt und die Wirksamkeit von Globuli bei Fließschnupfen aus. Ein Treffen mit Freunden ist umgeben von mindestens fünf Kindern zwischen 0 und 7 auch nicht mehr das, was es mal war, und die Tagesplanung dreht sich – wenn man überhaupt von Plan sprechen kann – fast ausschließlich um die Frage, wie man den Flötenunterricht der Tochter zeitgleich zum Fußballtraining des Sohnes erreichen kann.
Mitten in all dem taucht es immer wieder auf: das „alte Ich“. Ich mache immer noch gerne lange Spaziergänge (mit mindestens 5 km/h), habe immer noch die Sehnsucht, das Geigespielen zu lernen, bin nach wie vor unglaublich gut im Golfen und wünsche mir schon lange, eine Reise nach Südostasien zu machen. Vielleicht ist die Stimme meines „alten Ichs“ wesentlich leiser geworden – vielleicht auch wesentlich lauter! –, auf jeden Fall ist sie hörbar. Spürbar. Manchmal sehr eindringlich. Und das ist völlig o. k.! Nur weil ich Vater oder Mutter geworden bin, höre ich nicht auf, Mann oder Frau, Freund(in), Begabte(r), Sehnsüchtige(r), Gläubige(r), Lebende(r) zu sein. Mit allen Facetten.
„Ob ich sitze oder stehe, du weißt es, du kennst meine Pläne von Ferne. Ob ich tätig bin oder ausruhe, du siehst mich; jeder Schritt, den ich mache, ist dir bekannt. (…) Von allen Seiten umgibst du mich, ich bin ganz in deiner Hand.“ Diese Feststellung über Gott macht König David in der Bibel, und zwar in Psalm 139, Verse 2–3+5. Und sie gilt auch heute noch jedem Menschen – also auch jedem Vater und jeder Mutter. In unsere konkrete Situation hineingesprochen könnten diese Verse vielleicht so lauten:
„Ich weiß, wie sehr du dich aufopferst und gleichzeitig zurücksteckst. Ich sehe dein Tun und danke dir, dass du dich um eines meiner hilfs- und schutzbedürftigsten Geschöpfe kümmerst. In meinen Augen bist du unendlich wertvoll!“
Das stillt noch nicht jede Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung in uns. Aber das lässt uns wissen, dass wir viel gesehener, viel geliebter, viel wertgeachteter sind, als wir uns oft fühlen.
Darüber hinaus dürfen wir es uns selbst wert sein, uns Räume zu schaffen, in denen wir mit unseren Wünschen vorkommen können. Wenig hilfreich ist es nämlich, die Identität des „alten Ichs“ zu fesseln, zu knebeln und in den Keller zu sperren, nur weil man der Lüge aufgesessen ist, eine Mutter oder ein Vater hätte kein Recht mehr auf ein eigenes Leben. Natürlich kommt dieses an einigen Stellen kürzer und sogar auch mal zu kurz. Das ist kein Weltuntergang. Aber ich darf Absprachen mit meinem Partner oder einem Babysitter treffen, um mich mal wieder selbst mit all meinen Wünschen, Gaben und Leidenschaften zu spüren und diesen nachzugehen. Denn wenn ich mich selbst gesehen und umsorgt weiß, kann ich viel besser meinen Blick auch wieder auf andere lenken.
(aus meinem Buch „Familienalltag mit Goldrand“ – leider vergriffen)
Eine Antwort
Liebe Elli,
Das sind sehr ermutigende und hilfreiche Worte für eine Mama mit Baby und Kleinkind! Danke.